Warum Haie so wichtig sind.

Was ist die Rolle des Hais im Ökosystem Meer und welche Folgen könnte das Verschwinden von Haien haben?

  • Haie jagen vor allem schwache, alte und kranke Tiere
  • Ohne Haie können Ökosysteme kollabieren
  • Haie binden Kohlenstoff

SHARKPROJECT setzt sich seit über 20 Jahre für den Schutz der Haie ein. Die Gefahren für Haie, wie Überfischung, Flossenhandel oder Klimawandel, sind vielfältig. Was aber ist eigentlich die Rolle des Hais im Ökosystem Meer und welche Folgen könnte das Verschwinden von Haiarten in bestimmten Regionen mit sich bringen?

Ökosysteme sind extrem komplex und häufig nur schwer bis unmöglich komplett zu erfassen – die Antwort nach der Bedeutung ist also nicht ganz so einfach zu beantworten. Generell sind Haie natürlich wichtig, genauso wie alle anderen Arten, die in einem solchen System in Wechselwirkung stehen. Wir wollen das Thema deswegen versuchen ein bisschen differenzierter anzugehen. Ein Team der Universität aus Florida hat sich eingehend mit diesem Thema befasst und hat über 100 Publikationen in einem Review zusammengefasst. Dabei wurde schnell deutlich, dass Haie ganz verschiedene Rollen im Ökosystem einnehmen und viele Aspekte noch recht unerforscht sind. Deswegen lässt es sich zu diesem Zeitpunkt kaum genau vorhersagen, welche Folgen das Verschwinden von Haien in einzelnen Ökosystemen hätte und wie drastisch diese wären.

Definition Ökosystem

Offiziell definiert sich ein Ökosystem als die Vielzahl von Organismen, die in einem Gebiet leben und direkt oder indirekt miteinander und ihrer physischen Umwelt interagieren. Das heißt es gibt gar nicht dieses eine „Ökosystem Meer“, genauso wenig, wie sich einzelne Systeme klar voneinander abgrenzen lassen.  In Wirklichkeit kommt es deswegen häufig auf unsere Betrachtungsweise, die Fragestellung und den Maßstab an.

© MMF & Lukas Mueller & Steph Venables

Ein Ökosystem – das kann also ein ganzer See, ein Riff oder auch nur ein winziger Regentropfen mit seinen ganzen Mikroorganismen sein. Wichtig ist, es sich bewusst zu machen, dass wir deswegen häufig gezwungen sind, zu generalisieren und vieles nur eine „Annäherung“ an die Realität ist. In Wirklichkeit sind viele Zusammenhänge wesentlich komplexer und wir haben diese bei Weitem noch nicht vollständig erforscht.

Pauschalisierung von Haien

Eine klassische Pauschalisierung, die wir alle verwenden, ist das Wort "Haie". Die meisten werden sofort an etwas Großes und Graues mit vielen Zähnen denken. Der Begriff Haie umschließt jedoch über 500 verschiedene Arten, von denen sich viele stark unterscheiden. Einige leben in den tiefsten Gebieten unserer Erde, andere hingegen „laufen“ über Riffe.

Manche wachsen zu enormen Größen heran, wieder andere erreichen nicht mal einen halben Meter. Würde man versuchen sich den Standardhai vorzustellen, wäre dieser nur knapp über einen Meter groß und auch nicht zwingend grau.

Die Verschiedenheit aller Haiarten bedeutet gleichzeitig, dass sie ganz verschiedene Positionen und Funktionen im Ökosystem einnehmen. Auf die Frage nach der Bedeutung müsste man deswegen eigentlich antworten: Es kommt darauf an! Trotzdem lassen sich zumindest ein paar grundlegende Punkte zusammenfassen.

Visuell stellen wir uns Apex-Prädatoren (Topräuber) oft als die Spitze der Nahrungskette vor, die von „oben herab“ Einfluss auf die tieferen Ebenen nehmen. Wir alle erinnern uns noch grob an die klassische Pyramide aus unserem Biologiebuch der 10.Klasse mit den Topräubern an der Spitze und den Produzenten ganz unten. So einfach linear funktionieren aber gerade marine Nahrungsketten nicht – man muss sich das eher als ein kompliziertes Netz (Wissenschaftler sprechen hier vom Nahrungsnetz oder food-web im englischen) mit verschiedenen Ebenen vorstellen, in dem Arten verschiedene Rollen einnehmen können mit einer Vielzahl von Wechselwirkungen in sämtliche Richtungen.

Haie regulieren

Zugegeben, gerade die größeren Arten (es gibt eine gewisse Korrelation zwischen Größe und Position im Nahrungsnetz) finden sich häufig in der trophisch höchsten Ebene, zählen also zu den Topräubern. Hierzu gehören zum Beispiel Vertreter der Ordnungen der Grundhai- (Carcharhiniformes; z.B. Bullenhaie, Hammerhaie oder Tigerhaie), Makrelenhai- (Lamniformes; z.B. Makohaie oder Weisse Haie) und Grauhaiarten (Hexanchiformes; z.B. Sechs- und Siebenkiemenhaie).

© Stefanie Mirsch

In dieser Rolle haben sie eine regulative und stabilisierende Wirkung auf das komplette System. Sie sorgen dafür, dass Meso-Prädatoren (Räuber, die nicht auf der höchsten trophischen Stufe stehen, sondern etwas darunter; also sowohl Räuber als auch Beute sein können) keine Überhand nehmen und sorgen dadurch indirekt auch für gesunde Herbivorenbestände (“Pflanzenfresser”, im Meer also Fische und andere Organismen, die sich von pflanzlichem Material ernähren, zum Beispiel von Algen).

Besonders diese großen Arten scheinen einen überproportionalen Effekt auf das Gleichgewicht im Ozean zu haben; leider gehören diese aber häufig auch zu den am stärksten bedrohten Arten.

Ausnahmen bilden die Filtrierer – Walhaie, Riesenhaie und Megamaulhaie. Diese gehören zwar zu den wahren Giganten (über 10m bei Walhaien), stehen aber aufgrund ihrer speziellen Nahrungsaufnahme nicht an oberster Stelle.

Auch durchlaufen viele Arten außerdem verschiedene Rollen im Laufe ihres Lebens – gerade als Jungtiere sind sie häufig eher auf einer mittleren trophischen Ebene angeordnet.

Vielen Menschen ist unbekannt, dass die meisten Haiarten allerdings eher Meso-Prädatoren darstellen – also weder ganz oben noch ganz unten im Nahrungsnetz zu finden sind. Wo sie vorkommen, sind sie natürlich trotzdem ein fester Bestandteil dieser komplexen Nahrungsnetze, mit Beute-Räuber-Beziehungen nach “oben” und “unten”. Haie jagen vor allem schwache, alte und kranke Tiere und wirken sich damit positiv auf die Fitness anderer Arten aus und schränken die Verbreitung von Krankheiten ein.

Haie halten Ökosysteme im Gleichgewicht

Haie gehören also durchaus zu marinen Schlüsselarten, die maßgeblich daran beteiligt sind, Ökosysteme im Gleichgewicht zu halten und zu regulieren. Sie wirken sich direkt und indirekt auf die Populationen anderer Arten aus, sind dadurch entscheidend an der Gestaltung von Ökosystemen beteiligt und wirken sich auch auf die Stoffkreisläufe im Meer aus. Verschwinden sie mehr und mehr, besteht die Gefahr, dass sich diese Ökosysteme irreparabel verändern und im schlimmsten Fall kollabieren.

Haie und der Kohlenstoff

Im Zug des Klimawandels und der Forschung dazu, beschäftigen sich seit circa 10 – 15 Jahren auch immer mehr Wissenschaftler damit, inwiefern Haie (und andere größere Prädatoren) sich auf Kohlenstoffspeicherung im Ozean auswirken. Haie stellen dabei indirekte Kohlenstoffspeicher dar (Kohlenstoff ist ein essenzieller Bestandteil aller Lebewesen). Sterben Haie, sinken sie in der Regel auf den Meeresgrund und werden dort von anderen Lebewesen konsumiert und der Kohlenstoff damit im Ozean gebunden.

Wir Menschen unterbrechen diesen Prozess allerdings durch Fischerei, was bedeutet, dass dieser Kohlenstoff nicht gespeichert wird, sondern teilweise, als CO2 in die Atmosphäre gelangt. So wird geschätzt, dass in den letzten 50 Jahren die Fischerei von Haien allein die Speicherung von mehr als 2 Millionen Tonnen Kohlenstoff verhindert hat. Davon dürften rund 94 % als CO2 in die Atmosphäre gelangt, sein – aus Speicher wurde hier also Quelle (Mariani et al. 2020).

Durch ihre regulierende Funktion wirken sich Haie in bestimmten Regionen auch auf bereits bestehende Kohlenstoffspeicher im Ozean aus, wie zum Beispiel Seegraswiesen.

© Alex Niedermair

Durch das Fehlen von Prädatoren können sich andere Arten stärker ausbreiten, welche sich zum Beispiel von Seegras ernähren können. Durch die Störung solcher Systeme können sich diese Speicher dann ebenfalls schnell in eine Kohlenstoffquelle wandeln und sich negativ (zumindest aus einer menschlichen Sichtweise) auf den weltweiten CO2-Haushalt auswirken (Atwood et al. 2015).

© Andreas Schwitter

Generell handelt es sich hier um Annäherungsversuche der Wissenschaft und die strikte Trennung von Haien und anderer mariner Megafauna macht hier nicht immer Sinn. Es sollte nicht darum gehen, eine bestimmte Artengruppe wichtiger darzustellen als andere. Häufig findet man deswegen in der Literatur eher Berechnungen für funktionale Gruppen (z.B. Raubfische).

Haie und der Mensch

Was allerdings die Reduzierung von Haien für uns direkt bedeuten kann, zeigt ein Beispiel aus den frühen 2000er Jahren aus den USA. Entlang der Ostküste wurden früher zahlreiche große Haiarten befischt und deren Bestände über Jahrzehnte dadurch stark dezimiert. Etwas verzögert sind in der gleichen Region plötzlich die Austern- und Muschelfischerei zusammengebrochen – Menschen verloren ihren Job und eine ganze Industrie inklusive Zulieferern brach zusammen. Vermutet wird, dass dieses vor allem am Anstieg bestimmter Rochenarten lag – welche dort die natürliche Beute der Haie waren (Myers et al. 2007).

Geringe Veränderungen zeigen große Wirkung

Gerade das Verschwinden von Arten in den höheren Trophie-Ebenen ist für ein Ökosystem häufig nur schwer auszugleichen. Meist gibt es nur sehr wenige verschiedene Topräuber – verschwindet einer davon, ist das häufig schon ein großes Problem. Auf den “unteren” Ebenen kann ein gesundes System einen Verlust eventuell noch ausgleichen, da die Diversität an Arten mit ähnlichen Funktionen häufig höher ist. Im Zuge der aktuellen Biodiversitätskrise stellen Forscher aber leider immer mehr fest, dass die Resilienz einst gesunder Systeme immer weiter abnimmt. Dadurch mindert sich die Fähigkeit von Ökosystemen mit Stress und Bedrohungen umzugehen, da sie diese Einflüsse nicht mehr durch den Ausgleich verschiedener anderer Arten kompensieren können. Dadurch können schon vergleichsweise geringe Veränderungen eine große Wirkung hervorrufen.

Wie Du sehen kannst, ist das Thema Haie und ihre Rolle im Ökosystem recht komplex und äußerst vielfältig. Das zeigt allerdings auch, wie wichtig Haie im Ökosystem Meer sind und wie schwerwiegend ihr Verschwinden sein würde.

Wir werden daher nicht aufhören, für gesunde Haibestände weltweit zu kämpfen. Denn am Ende profitieren auch wir Menschen von einem gesunden Ozean.

Dein Ansprechpartner Jan Bierwirth

Bei Fragen oder Anmerkungen zu diesem Blogpost kannst Du Dich gerne direkt an Jan von SHARKPROJECT wenden.

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